CHAPTER11 Posted August 9, 2006 Report Share Posted August 9, 2006 Nach einem zweijährigen Aufwärtstrend sind die Finanzmärkte in den vergangenen Monaten unberechenbarer geworden als zuvor. Es gibt zwar viele unterschiedliche Prognosen, wie es weitergehen könnte. Keine jedoch scheint derzeit so richtig ziehen zu wollen. Wie sollte sich der Anleger in dieser Situation verhalten? FAZ.NET unterhielt sich darüber mit Alfons Cortés. Er basiert seine Markteinschätzung als unabhängiger Analyst auf einem holistischen Ansatz, der verschiedene technische Indikatoren - relative Stärke, Marktstimmung, Momentum und das Handelsvolumen - berücksichtigt und sich auf die Österreichischen Schule der Nationalökonomie stützt. Wie würden Sie die aktuelle Situation an den Finanzmärkten gegenwärtig beschreiben? Ich unterscheide grundsätzlich zwischen Trend- und so genannten Transitionsphasen. Und schon Mitte Mai bin ich mit der Aussage an die Öffentlichkeit gegangen, die Märkte seien nach einem mehrjährigen Aufwärtstrend in eine Transitionsphase übergegangen. Was heißt das? Das bedeutet, daß sich in nächster Zeit kurz- bis mittelfristige Trends gegenseitig ablösen werden. Wir werden keine so klaren Trendrichtungen sehen, wie wir sie vom März des Jahres 2003 bis in den Mai des Jahres 2006 hinein hatten. Was ist die Basis für diese Aussage, welche Indikatoren oder Argumente betrachten Sie? Ich schaue mir an, ob sich die Akteure an den Finanzmärkten weltweit über die verschiedenen regionalen Märkte und Sektoren hinweg betrachtet homogen oder heterogen verhalten. Eine homogene Marktstruktur haben wir dann, wenn sich alle Indizes in dieselbe Richtung bewegen, wenn auch nicht mit gleicher Geschwindigkeit. Eine gewisse Homogenität gibt es auch dann, wenn sich verschieden Branchen, die ökonomisch zusammenhängen, in die gleiche Richtung bewegen - und wenn zwei Drittel der Aktien das auch tun. Wenn wir jedoch erleben, daß sich viele Aktien in eine andere Richtung bewegen als die Indizes, dann schließe ich auf eine heterogene Marktstruktur und damit auf eine Transitionsphase. Welche Werte laufen nun in eine andere Richtung als die Indizes? Im positiven Sinne sind das die defensiven Papiere. Das sind Werte im Bereich der Basis-Konsumgüter und des Gesundheitswesens, insbesondere die Pharmatitel. Weniger positiv verhalten sich dagegen die zyklischen Industriewerte. Noch nicht betroffen sind bisher im zyklischen Bereich die Minenaktien. … „noch nicht“ sagen Sie. Rechnen Sie damit, daß das noch kommen könnte? Ich beobachte diese Werte im Moment sehr genau, denn in diesem Bereich ist im Moment viel Spekulation im Gange. Es gibt viele Rohstofffonds, die spekulativ Bestände aufgebaut haben, die aus wirtschaftlicher Sicht in dieser Dimension nicht nachgefragt werden. Das Phänomen hat sogar auf die Metallaktien durchgeschlagen. Sie beurteilen die Nachfragesituation folglich nicht so optimistisch wie viele Marktteilnehmer? Nein. Das heißt nicht unbedingt, daß ich mit einer Rezession oder ähnlichem rechne. Sondern ich denke, viele Marktteilnehmer haben bei ihren Käufen auf Vorrat die Nachfrageentwicklung überschätzt. Folglich betrachten Sie Rohstoffwerte kritisch und denken über Absicherungsstrategien nach? Zum Teil ja. Zum anderen definiere ich die Ausstiegskriterien, bei welchen ich die Papiere verkaufen möchte und es dann auch tue. Das bedeutet nicht, alles auf einmal zu verkaufen. Wenn man beispielsweise an die Aktien von Phelps Dodge denkt, so könnte man darüber nachdenken, die Position auf das Niveau zu reduzieren, zu dem man eingestiegen war.Was ist für Sie das entscheidende Kriterium für den Ausstieg? Das ist die Veränderungsrate der relativen Preise oder die nachlassende Kursdynamik im Vergleich mit einer Benchmark. Wie würden Sie sich im Moment als Anleger positionieren? Unterstellen wir einen Anleger mit einer Aktienquote, die ihn von seiner Risikoneigung und -tragfähigkeit her einen Kurseinbruch von 20 Prozent ertragen läßt, so würde ich meine Positionierung am Aktienmarkt derzeit nicht verändern, nachdem ich mich schon im Mai defensiv orientiert hatte. Unter Branchengesichtspunkten würde ich zu defensiveren Verschiebungen in Richtung Pharmatiteln oder zu Herstellern von Gütern für das tägliche Leben tendieren. Ansonsten würde ich die Aktienquote nicht reduzieren. Da die Märkte eine gewisse Saisonalität zeigen - Spätherbst und Frühling sind an den Börsen statistisch betrachtet sehr positiv - würde ich erst danach über eine Reduktion des Aktienengagements nachdenken. Wo sollte man regional investiert sein? Wir hatten bis zum Mai eine mehrmonatige Phase, in der sich die amerikanischen Märkte relativ betrachtet unterdurchschnittlich entwickelten im Vergleich mit Europa und Asien. Die Rückschläge in den vergangenen Wochen dagegen fielen gerade dort besonders deutlich aus. Das heißt, immer wenn die amerikanischen Börsen schwächeln, fallen die Reaktionen in Europa und Asien noch ausgeprägter aus. So habe ich inzwischen auch keine Präferenz mehr für diese Märkte. Ich wäre sehr vorsichtig mit den asiatischen Börsen mit Ausnahme von Japan und Hongkong, aus Sicht der relativen Stärke. Die indische und auch die koreanische Börse halte ich für sehr gefährdet. Wo sehen Sie die Alternativen? Da an den Schwellenländerbörsen auf eine längere Phase der „Outperformance“ meistens eine längere Phase „Underperformance“ folgt, sehe ich interessantere Möglichkeiten beispielsweise im S&P 500, im SMI oder auch im Eurostoxx und sogar im Nikkei. Märkte wie Rußland, Brasilien oder auch China haben für Sie keine Reize? Rechtssicherheit und Liquidität stehen für mich bei der Geldanlage an erster Stelle. Rußland kommt für mich aus diesem Grund nicht in Frage und China halte ich für sehr intransparent. Aus diesem Grund versuche ich, indirekt vom chinesischen Wachstum zu profitieren. Das ist einfacher als man denkt. Denn die internationalen Stahlunternehmen beispielsweise haben aufgrund der Entwicklung in China Spielraum bei der Preisgestaltung gewonnen, ob sie nun nach China geliefert haben oder nicht. In den vergangenen Monaten konnten viele Unternehmen ihre Umsätze eher über die Preise als über die Menge steigern. Sollten Anleger auf die Fortsetzung dieser Entwicklung bauen? Nein, ich glaube nicht. Denn immer öfter wollen auch die Arbeitnehmer einen Teil des Kuchens. Aus diesem Grund glaube ich nicht, daß sich die Margen weiter expandieren lassen werden. Sobald wir einen „Wealthtransfer“ von den Aktionären zu den Arbeitnehmern bei stagnierenden Umsätzen beobachten können, werden wir tiefere Aktienkurse haben. Und wo steigen die Umsätze: Bei Unternehmen wie DaimlerChrylser, da ich denke, sie haben ihre Hausaufgaben machen und das Ertragspotential des Unternehmens erschließen werden. Titel die bisher schwach waren, haben in meinen Augen künftig bessere Kurschancen als andere. Würden Sie weitere Beispiele für solche Unternehmen nennen? Ja, dazu zähle ich Carrefour, L'Oreal oder auch Danone. Es gibt Stimmen, die behaupten, die Europäische Zentralbank würde mit ihren Zinserhöhungen die Konjunktur abwürgen. Würden sie dem zustimmen? Ich denke, es nützt wenig, über wirtschaftliche Prognosen zu fabulieren. Wir befinden uns in einem komplexen System und es geht darum, die Gegenwart auf den Punkt zu bringen. Und die Gegenwart verändert sich nicht von einem Augenblick auf den anderen, denn dafür ist das System viel zu träge. Die Gegenwart war von März des Jahres 2003 bis in den Mai des laufenden Jahres ein „Bull-Market“. Die jetzige Gegenwart ist, daß wir keinen „Bull Market“ mehr haben. Wir befinden uns in einer Transitionsphase. Alles andere ist Kaffeesatzleserei. Nun geht es darum, diese Gegenwart in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und sich gegebenenfalls an aufkommende Veränderungen anzupassen. Prognosen sind also nutzlos? Wenn man die Inflationsentwicklung, Wachstumsraten oder andere konjunkturelle Größen korrekt und robust prognostizieren könnte, so würde das implizieren, daß man mit einer Kommandowirtschaft besser fahren würde als mit einer Marktwirtschaft. Denn man könnte die Gegenwart so verändern, daß am Ende „das richtige Ergebnis“ herauskäme. Das ist das, wie der Keynesianismus heute dargestellt wird, obwohl Keynes selbst mit dieser Interpretation, lebte er noch, sehr wahrscheinlich nicht viel anfangen könnte. Denn dafür war er als Situationslogiker viel zu pragmatisch. Ich sage als Schüler von Hayek: Wir haben ein komplexes System und können keine Linearität zwischen Ursache und Wirkung herstellen. Meistens kennen wir nicht einmal die Ursache. Quintessenz: Wir befinden uns in einer trendlosen Phase. Als Anleger sollte man sich defensiv positionieren und abwarten, bis neue Trends entstehen? Ja, so ist es.Das Gespräch führte Christof Leisinger Quelle: faz.net Link to comment Share on other sites More sharing options...
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